Deutschland, das Land der …?
„Auch wenn ein Deutscher nichts hat, Bedenken hat er.“
Dieses Zitat von Kurt Tucholsky wirft einen Blick auf eine typisch deutsche Eigenschaft: Bei allem direkt vom Schlimmsten auszugehen. Besonders in der Unternehmensführung scheinen diese Bedenken oft die Oberhand zu gewinnen, bevor Entscheidungen überhaupt getroffen werden können. Deutschland ist bekannt als das Land der Dichter und Denker – oder dann doch eher das der Grübler und Bedenker? Denn ist es nicht so, dass bei allem, was im Unternehmen und von Führungskräften getan und entschieden wird, zuerst die Frage danach, was passieren könnte, laut wird? Nicht selten ist eine der ersten Reaktionen von Führungskräften „Wie kann ich vermeiden, dass ich hier Verantwortung übernehmen muss?“.
Gehen Führungskräfte aber an Entscheidungen auf diese Art und Weise heran – also mit dem Versuch, das Schlimmste zu vermeiden – dann entscheiden sie nicht frei und rasen damit völlig an dem vorbei, was ich von einer guten Führungskraft erwarte. Das Korsett der Bedenken geht damit Hand in Hand mit der Angst vom Scheitern. Daher lohnt sich ein genauerer Blick auf bestimmte Beispiele im Unternehmensalltag, in denen dieses Korsett Führungskräften die Luft abschnürt und sie davon abbringt, tatsächlich ins Tun zu kommen und effektiv zu führen.
Beispiel 1: „Die ist eh bald weg!“
In der heutigen Geschäftswelt sind junge Frauen einer paradoxen Realität ausgesetzt. Trotz ihrer Anerkennung als zielstrebige und erfolgreiche Mitarbeiterinnen werden sie von Managements oft skeptisch betrachtet. Dies geschieht besonders in Bezug auf Ausbildung und Weiterentwicklung, da die Sorge um eine mögliche Schwangerschaft und anschließende Abwesenheit präsent ist. Diese Bedenken, die auf veralteten Annahmen beruhen, blockieren nicht nur das volle Potenzial dieser Frauen, sondern zeigen auch einen Mangel an Wertschätzung für ihre organisatorischen Fähigkeiten und ihre Bereitschaft, Beruf und Familie zu vereinen. Eine progressive Unternehmenskultur, die solche Herausforderungen erkennt und aktiv Maßnahmen ergreift, ist entscheidend, um Frauen nach der Geburt ihrer Kinder erfolgreich ins Berufsleben zurückzuführen und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die für alle Beteiligten bereichernd ist.
Beispiel 2: „Die schieben zu Hause doch nur `ne ruhige Kugel!“
Die Einstellung zum Homeoffice hat sich im Laufe der Zeit scheinbar gewandelt, trotz oder gerade wegen des erzwungenen Anstiegs während der Pandemie. Viele Unternehmen ziehen es heute vor, Mitarbeitende wieder zurück ins Büro zu holen, getrieben von Kontrollwünschen bzw. -zwängen. Doch während positive Erfahrungen wie erhöhte Flexibilität und gesteigertes Engagement durch das Homeoffice deutlich wurden, herrscht unter Führungskräften eine anhaltende Unsicherheit bezüglich der tatsächlichen Produktivität der Mitarbeitenden. Dies hat zu einer Art „Produktivitätsparanoia“ geführt, die von einem Mangel an persönlicher Interaktion und einer anderen Art der Führung begleitet wird. Während einige Unternehmen nun auf eine Rückkehr zur Präsenz am Arbeitsplatz drängen, bleibt die Frage offen, ob dies wirklich dem Wohl des Unternehmens oder eher einem Kontrollbedürfnis entspringt.
Beispiel 3: „Ohne mich geht nichts.“
Die Vorstellung, dass ohne die ständige Präsenz von Führungskräften nichts funktionieren würde, ist ein weiteres weitverbreitetes Hindernis in vielen Unternehmen. Diese Überzeugung steht im Widerspruch zu dem, was Führungskräfte eigentlich anstreben: Ein Team zu entwickeln, das auch ohne sie erfolgreich arbeiten kann. Doch die stetig wachsenden Anforderungen an Führungskräfte, sei es in Bezug auf Arbeitssicherheit, Compliance oder das Management verschiedener Systeme, haben dazu geführt, dass viele von ihnen sich erschöpft und überlastet fühlen. Oftmals werden Führungskräfte aufgrund ihrer herausragenden Leistungen im operativen Bereich befördert, jedoch ohne angemessene Schulung in den neuen Aufgabenbereichen. Diese Diskrepanz zwischen den Anforderungen der modernen Arbeitswelt und den traditionellen Vorstellungen von Führung führt zu einer stagnierenden Produktivität und beeinträchtigt das Wohlbefinden der Mitarbeitenden wie auch den Ruf des Unternehmens. Um dieser Problematik zu begegnen, müssen Führungskräfte sich von der Vorstellung lösen, dass sie das Zentrum des Erfolgs sind, und stattdessen zu MentorInnen und UnterstützerInnen ihrer Teams werden, um deren Erfolg zu fördern.
Abschließend ist es entscheidend zu erkennen, dass das Korsett der Bedenken nicht nur die individuelle Entwicklung von Führungskräften behindert, sondern auch das Potenzial der gesamten Organisation einschränkt. Daher mein Appell an alle Führungskräfte: Ergreifen Sie mutig die Initiative und lösen Sie sich von Ihren Ängsten. So können Sie eine Kultur des Vertrauens und der Innovation schaffen. Und nur so können Unternehmen erfolgreich den Herausforderungen des Wandels begegnen und langfristigen Erfolg sicherstellen.
In seinem Buch "Mit neuem Mut gegen German Angst - Ein Plädoyer für engagiertes Leadership" zeigt Autor Jochen Blöcher auf, wie wir an der Wurzel ansetzen können, um diese Transformation zu erreichen. Von der Erziehung und Bildung über den offenen Dialog bis hin zur Förderung von Solidarität und gesellschaftlichem Engagement bietet Blöcher einen Fahrplan, der uns dazu ermutigt, aktiv zu werden und Veränderungen herbeizuführen. Es ist an der Zeit, dass Führungskräfte und UnternehmerInnen eine neue Rolle als mutige Vorbilder einnehmen und gemeinsam an einer Zukunft arbeiten, die von Zuversicht und Fortschritt geprägt ist. Wir sollten diese Gelegenheit ergreifen und gemeinsam die German Angst überwinden!