Jochen Blöcher im Portrait: Es sind die einzelnen Teile, die das Ganze vollkommen machen
Unser Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Herausforderungen – kleinen und großen. Manche Lösungen fallen uns leicht, andere hingegen krempeln unser Leben von rechts auf links. Ich brauche Herausforderungen. Das ist mein Naturell. Ich packe an, übernehme Verantwortung und sitze nicht aus. Aber eine Herausforderung hat mich schwer gebeutelt. Alte Wackersteine und hinderliche Glaubenssätze ploppten auf und raubten mir viel Energie. Dennoch bin ich ihnen dankbar, da ich viel über mich und das Leben erfahren und daraus lernen durfte. Aber fangen wir am Anfang meiner Reise an.
Ich weiß, was ich nicht will!
Alles begann, als ich 1998 mein Maschinenbaustudium Fachrichtung Mechatronik antrat. Um mein Studium zu finanzieren, hatte ich einen Job in einem IT-Unternehmen angenommen, um dort als Werkstudent Computer zusammenzuschrauben und andere Tätigkeiten zu erledigen. Anscheinend hatte ich mich ganz gut angestellt, da mich mein damaliger Chef schnell Dinge tun ließ, die nur Festangestellten oblagen – Geräte anschließen, reparieren und Server-Netzwerke betreuen. Ich lernte viel in der Zeit, da es mir prinzipiell Spaß macht, durch Handeln zu lernen, also praktisch mir das nötige Wissen schnell und gut selbst anzueignen. Ich bin nicht der Typ, der gut aus dem Lehrbuch und rein theoretisch lernt – ich suche mir raus, was ich für stimmig und sinnig halte und praktisch anwenden kann. Das hat letztendlich dazu geführt, dass ich innerhalb von 2 Jahren wie ein ausgebildeter IT-Techniker agieren konnte und bereits mittelständische Unternehmen betreute.
Ab da war für mich klar – ich mache mich selbstständig. Auch, weil ich mir nicht vorstellen konnte, mein Leben lang als Maschinenbauer die einzelnen Zähne eines Zahnrades zu zeichnen oder generell in dem Metier mein Glück zu finden. Gesagt, getan. Ich schmiss mein Studium und brachte mich 2000 als kleiner Einzelunternehmer auf den Markt.
Jetzt erst recht!
Ich habe einen Dickkopf, wenn ich persönlich einen Sinn in einer Sache sehe. Wenn mir jemand sagt, dass etwas nicht geht, versuche ich zu verstehen, warum es nicht gehen sollte – das löst bei mir häufig eine Art von Trotz aus, der mich dazu bringt, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
Selbstständig? Was ein Quatsch.
So war es seinerzeit auch, als ich als Grünschnabel zur IHK ging, sagte, ich wolle mich selbstständig machen und belächelt wurde. Wäre ja Quatsch und würde ich sowieso nicht schaffen. Da hatten die aber nicht mit meinem „Jetzt erst recht“ gerechnet.
Lass die Finger davon.
Auch in meinem Elternhaus kam diese Idee nicht sonderlich gut an. „Das macht keinen Sinn. Lass die Finger davon.“ Entgegen den IHK-Mitarbeitenden meinte es aber vor allem mein Vater in guter Absicht. Er war ebenfalls selbstständig (allerdings unfreiwillig), nachdem er in das Unternehmen seines Vaters einsteigen und es dann übernehmen musste, da er einen schweren Unfall hatte. Vergeblich riet er mir liebevoll: „Mach das nicht, studiere, mach irgendwas, was dir Spaß macht, aber lass die Finger von der Selbstständigkeit.“ Was ich allerdings verstand, war: „Das schaffst Du nicht.“ Den Dickkopf erwähne ich jetzt nicht noch mal …

Der Mitarbeitende im Mittelpunkt!
Das Unternehmen wuchs schnell, stetig kamen neue Mitarbeitende hinzu und 2005 firmierten wir zur GmbH. Aus dem Einzelunternehmer war in kürzester Zeit ein Firmeninhaber mit Personalverantwortung geworden. Schnell wusste ich, was für ein Chef ich nicht sein möchte. Ich bin durch meinen Job viel in Unternehmen unterwegs gewesen und habe gesehen, wie dort die Mitarbeitenden – oder ich als Student – behandelt wurden. Das lag völlig neben meinem Rechtsempfinden. Für mich stand von Anfang an fest, dass der Mensch in meinem Unternehmen immer im Mittelpunkt steht.
Für mich bedeutet Unternehmer sein: soziales Handeln ...
Bei uns steht der Mitarbeitende vor dem Thema Wirtschaftlichkeit. Natürlich arbeiten wir erfolgsorientiert, aber wir werden nie eine Entscheidung zu Ungunsten unserer Mitarbeitenden treffen. Wenn es darum geht, „Wirtschaftlichkeit steigern“ oder „Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen“, dann werden wir immer im Sinne des Mitarbeitenden agieren. So haben wir beispielsweise unsere U3-Betreuung für eigene Mitarbeitende, aber auch Externe eingerichtet. (Auch so ein Beispiel, dass der Landkreis meinte „geht nicht“ und ging doch!) Wir bieten unseren Mitarbeitenden eine ganze Reihe an Dingen, um dafür zu sorgen, dass wir ein gutes Betriebsklima haben. Dinge, die die Menschen, welche einen großen Teil ihrer Zeit auf der Arbeit statt zuhause verbringen, auch tatsächlich glücklich machen.
… und Verantwortung zu übernehmen.
Ich sehe es als meine Verantwortung darauf zu achten, dass meine Mitarbeitenden ein vernünftiges Verhältnis aus Arbeit und Beruf leben, welches nicht kippt. Viele Menschen befinden sich in einem Hamsterrad aus Familie, Beruf und eigenen Bedürfnissen aus welchem man nur schwer aus eigener Kraft herauskommt. Deshalb lege ich sehr großen Wert darauf zu verstehen, was die Mitarbeitenden antreibt und ob sie Schwierigkeiten im privaten Umfeld haben. In den Grenzen natürlich, in denen jeder darüber sprechen möchte. Zu verstehen, wie sie ticken, weil letztlich, wenn sie auf der Arbeit sind, sie genauso Mensch sind wie zu Hause. Sie bringen ihre Probleme, die privat bestehen, genauso mit in die Firma, wie sie die Probleme, die sie bei uns haben, mit nach Hause nehmen.
Ein solches Klima, diese Unternehmenskultur, waren meine Mitarbeitenden gewöhnt, als dann die größte Herausforderung in mein und unser aller Leben trat.
Nicht wir machen Erfahrungen, sondern die Erfahrungen machen uns.
Es geschah zu einer Zeit, in der wir als Unternehmen mit 30 Mitarbeitenden sehr gut als Team agierten und am Markt top platziert waren. Alles lief reibungslos und wie am Schnürchen. Zugegeben – für mich war die Phase fast schon zu ruhig. Wie gesagt, ich brauche Herausforderungen und daher war diese Zeit für mich ein bisschen schwierig. Genau in dieser ruhigen Zeit kam ein Unternehmensberater auf mich zu und bot mir ein Unternehmen 80 Kilometer von Dillenburg zum Kauf an. Auf dem Papier las sich das so, als wäre es ein Unternehmen ähnlich dem unsrigen, sowohl vom Inhalt der Tätigkeit, als auch von der Größe. Ich schob das Angebot eine Weile auf meinem Schreibtisch von rechts nach links und zurück, aber so nach einem halben Jahr dachte ich mir, „schau dir das mal an“. Und als auch noch die Bank und der Steuerberater sagten, „das ist ein gutes Geschäft, mach das“ habe ich es gekauft – mit Mann und Maus.
Die Katze im Sack …
Leider stellte sich heraus, dass es überhaupt nicht gut um das Unternehmen stand. Geschönte Zahlen, die Mitarbeitenden kündigten einer nach dem anderen, interne Machtkämpfe. Es war durch die Bank weg eine Katastrophe, die mich viel Geld und noch mehr Energie kostete.
Parallel dazu konnte ich mich natürlich nicht mehr mit der gewohnten Energie und persönlichen Zuwendung meinem eigenen Unternehmen widmen. Oft – zu oft – war ich an dem anderen Standort; über eine Autostunde entfernt. Dort schlug ich mich mit Problemen herum, die von meinen Kollegen in Dillenburg keiner bewerten konnte. Ich war weg, hatte keine Zeit für mein Team und das führte schlussendlich zu Unmut.
… richtete mehr Schaden an, als auf den ersten Blick zu erkennen war!
Schlimmer noch – in der Phase sind sehr gute Mitarbeitende weggelaufen, die sich einfach nicht mehr wohlfühlten, weil das nicht mehr das familiengeprägte Unternehmen war, das schöne Miteinander, welches sie gewohnt waren. Aus Sicht der Mitarbeitenden völlig nachzuvollziehen. Ich hatte mich dazu entschlossen, etwas zu kaufen, was riesengroße Probleme machte und diese kleine Welt, in der wir uns alle sehr wohlgefühlt hatten, letztlich bedroht und auch ein Stück weit zerstört. Ich war einfach zu viel weg – auch, um die Zeichen der Unzufriedenheit meiner Mitarbeitenden früher zu erkennen. In Summe eine Zeitspanne von anderthalb, zwei Jahren, in der ich jeden Tag das Gefühl hatte, es geht bergab.
Und ich spürte diesen großen Stein, den ich schon sehr lange mit mir herumtrug, mit einer unfassbaren Kraft zuschlagen. Dieses schwere Ding, auf dem draufsteht: „Du schaffst das nicht.“

Mein Glück: Die richtigen Menschen an meiner Seite zu haben
Ich bin extrem robust, belastbar und leidensfähig. Das gepaart damit, dass ich schon immer sportlich war und auch körperlich einiges wegstecken konnte, rettete mir ein Stückweit in dieser Zeit den Kopf. Aber ich bin überzeugt, ohne die richtigen Menschen an meiner Seite, wäre ich nicht so stark aus der Situation herausgekommen.
An erster Stelle steht da meine wunderbare und verständnisvolle Frau. Sie kennt mich seit 27 Jahren und hat mich, seit Beginn meiner Selbständigkeit vor 22 Jahren, 24/7 mit viel Stabilität und Ruhe durch alle Phasen begleitet. Auch der Ausgleich, den ich in meinem privaten Umfeld durch Ehrenamt und Sport hatte, ließ mich durch diese schwere Zeit kommen. Aber den tatsächlichen Wendepunkt läutete Herr Wende (nomen est omen) aus dem Bereich „Intensive Care“ unserer Bank ein. Er machte sich ein Bild davon, wer ich bin – als Mensch und Unternehmer – und entschied bei der Finanzierungsentscheidung auch für den Faktor Mensch. Er traute mir zu, die Unternehmen in eine glückliche Zukunft zu lenken. Nur eine Bedingung hatte er: „Nehmen Sie sich einen Unternehmensberater und erstellen eine vernünftige Planung. Und dann finanzieren wir das Ganze mit.“
Auch Dank jedes einzelnen meiner einzigartigen Mitarbeitenden – die Analystin der Unternehmensberatung, welche das Unternehmen und mich bis ins Kleinste schonungslos auseinandernahm, gehört mittlerweile zu unserer „Familie“ – haben wir diese Zeiten überstanden. Wir sind inzwischen ein Team von über 80 Mitarbeitenden und glücklich miteinander.
Heute ist es so, dass dieser Mühlstein, der um meinen Hals hing, nicht mehr existent ist. Ich weiß, dass ich den einmal getragen habe, aber den Gedanken, dass ich irgendetwas nicht schaffen kann, habe ich seit dieser Zeit nicht mehr.
Was ich hinterlassen möchte
Wenn ich in die Zukunft schaue, habe ich die Hoffnung, dass es ein Stückweit wie ein kleiner Funke ist, der vielleicht zu etwas Größerem wird, dass andere Menschen Unternehmer verstehen, dass man auch mit Kleinigkeiten Großes bewirken kann. Wir sind kein Großunternehmen, wir können weder die Umwelt retten, noch die Menschheit zu etwas Besserem bringen. Aber wir bei uns im Kleinen versuchen, und das tatsächlich mit all unseren Mitarbeitenden, unseren Teil für eine bessere Zukunft beizutragen. Das fängt bei uns als Team an. Wenn wir miteinander wertschätzend umgehen, aufeinander achtgeben, dann hat das Auswirkungen auf die Familien und die Angehörigen von unseren Mitarbeitenden. Ein Mitarbeitender, der hier gut gelaunt ist, geht auch gut gelaunt nach Hause. Und wenn er zu Hause mal Stress hat, kann er das bei uns kompensieren. Das ist für mich der erste Schritt dahin, ein anderes Mindset zu erzeugen. Ich hoffe, dass sich mehr Unternehmen finden, dass mehr Unternehmer sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden und auch der Gesellschaft bewusst sind, um ein friedliches Miteinander zu ermöglich.
Und vielleicht wird in 100 Jahren ein Knirps an unserem Standort vorbeilaufen und sagen: „Da hat meine Oma gearbeitet und war sehr glücklich.“
Dieses Portrait ist erschienen im Personal Brand Magazin 2|22.