Absteigen, um aufzusteigen: 530 Kilometer Richtung Klarheit

Ich gebe zu: Als wir letzten Sommer unsere Fahrradtour von Dillenburg nach St. Peter-Ording planten, dachte ich in erster Linie an frische Luft, Bewegung, vielleicht auch ein bisschen Abstand zum Alltag. Was ich unterwegs gefunden habe, war weit mehr: Erkenntnis, Klarheit – und ein sehr konkretes Gefühl davon, was Leadership heute wirklich braucht.

Vier Tage, 530 Kilometer, wechselndes Wetter, gleichbleibende Entschlossenheit. Gemeinsam sind wir quer durch Deutschland geradelt – nicht, um zu fliehen, sondern um zu erfahren. Und rückblickend war das, was wir dort draußen erlebt haben, keine Flucht aus der Verantwortung, sondern ein tiefes Eintauchen in das, worum es in meinem Buch „Mit neuem Mut gegen German Angst“ geht: den Mut, sich selbst auszuhalten. Den Mut, Dinge anders zu machen. Den Mut, loszufahren – auch ohne hundertprozentigen Plan.

Raus aus der Komfortzone – rein ins echte Leben 

„Warum macht ihr das?“ – eine Frage, die wir auf der Tour immer wieder gehört haben. Meine Antwort lautete meist: „Weil es nötig ist.“ Nicht im Sinne von körperlicher Selbstkasteiung, sondern weil Führung heute mehr denn je geerdet sein muss. Echte Veränderung beginnt dort, wo wir uns selbst spüren. Und das tut man ziemlich gut, wenn man täglich sechs Stunden im Sattel sitzt – bei Sonnenschein, bei Gegenwind, bei Regen. Der Körper meldet sich. Der Geist sortiert sich. Und irgendwo auf dem Weg zwischen Kassel und Bremen war plötzlich wieder spürbar, wie kraftvoll es ist, bewusst aus der Komfortzone auszubrechen.

Führung passiert nicht im Meeting – sondern unterwegs

Eine Fahrradtour zwingt zur Entscheidung. Zum Beispiel: Bleiben wir noch stehen oder fahren wir weiter? Nehmen wir den Umweg oder riskieren wir Gegenverkehr? Und was tun wir, wenn uns ein Lkw mit 100 km/h überholt, mit zehn Zentimetern Abstand? Angst? Ja, die gehört dazu. Aber ebenso gehört dazu, sich nicht von ihr lähmen zu lassen. Auf dem Rad, wie im Unternehmen.

In meinem Buch schreibe ich über die lähmende Wirkung der sogenannten German Angst – die kulturell tief verankerte Tendenz, lieber abzuwarten als zu wagen. Doch genau das blockiert Entwicklung. Wer führen will, braucht den Mut, Entscheidungen zu treffen, ohne perfekte Bedingungen. Diese Tour hat mir noch einmal eindrücklich gezeigt: Es ist genau dieser Mut, der zählt.

Digital Detox? Ja. Und viel mehr.

Vier Tage ohne E-Mails, ohne WLAN, ohne ständige Erreichbarkeit. Was für viele nach Verzicht klingt, war für mich ein Geschenk. Die Gespräche während der Pausen, das monotone Treten, das Schweigen nebeneinander – all das hat Raum geschaffen. Für Gedanken. Für Ideen. Für ein ehrliches Innehalten. Ich habe gespürt, wie viel innerer Lärm im Alltag einfach so mitläuft – und wie heilsam es sein kann, ihn mal bewusst abzuschalten.

Denn Führung beginnt nicht im Außen, sondern im Innen. Wer bin ich, wenn ich nicht online bin? Was bleibt, wenn keine Präsentation läuft, kein Team-Call wartet, keine Agenda diktiert? Die Antworten darauf findet man nicht in einem Workshopraum. Man findet sie auf dem Radweg – irgendwo zwischen Wetterumschwung und Wasserflasche.

Was bleibt, wenn man ankommt? 

„Warum machen wir das nochmal?“ – Ja, die Frage kam. Aber spätestens am Strand von St. Peter-Ording war sie beantwortet. Wir haben es gemacht, weil wir etwas gesucht haben, das man im Alltag oft verliert: Verbundenheit. Mit uns selbst. Mit unserem Gegenüber. Mit dem, was uns antreibt. Und wir haben etwas mitgenommen: Klarheit. Ruhe. Und eine neue Lust auf Verantwortung. Denn genau darum geht es in einer Zeit, in der viele lieber absichern als entscheiden, lieber verwalten als verändern: um Mut. Nicht den lauten, forschen Mut, sondern den stillen, konsequenten Mut, der aus echter innerer Haltung kommt.

Leadership braucht Haltung – nicht nur Methoden

Diese Tour war keine Heldengeschichte. Aber sie war eine echte Erfahrung. Und sie hat mir erneut bestätigt, dass Führung heute mehr denn je mit dem Menschen hinter der Rolle zu tun hat. Mit dem, was ihn ausmacht, wenn keiner hinschaut. Wenn es anstrengend wird. Wenn es nass wird. Und wenn man trotzdem weiterfährt.

Wir müssen nicht perfekt sein. Aber wir müssen in Bewegung bleiben. Und manchmal beginnt Führung einfach mit dem ersten Tritt in die Pedale.

In seinem Buch "Mit neuem Mut gegen German Angst - Ein Plädoyer für engagiertes Leadership" zeigt Autor Jochen Blöcher auf, wie wir an der Wurzel ansetzen können, um diese Transformation zu erreichen. Von der Erziehung und Bildung über den offenen Dialog bis hin zur Förderung von Solidarität und gesellschaftlichem Engagement bietet Blöcher einen Fahrplan, der uns dazu ermutigt, aktiv zu werden und Veränderungen herbeizuführen. Es ist an der Zeit, dass Führungskräfte und UnternehmerInnen eine neue Rolle als mutige Vorbilder einnehmen und gemeinsam an einer Zukunft arbeiten, die von Zuversicht und Fortschritt geprägt ist. Wir sollten diese Gelegenheit ergreifen und gemeinsam die German Angst überwinden!